Archiv : Frauen und Internet
Übersicht
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Pressemeldung zum Chaos Communication Congress 1995
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Email-Emanzipation gegen Digitale Diskriminierung

von Kerstin Lenz (k.lenz@link-goe.zerberus.de)

In einem einleitenden Vortrag sprach Doris Kretzen mehrere aktuelle
weltweite Entwicklungen an: Zunaechst zunehmende Bestrebungen von
seiten der Regierungen, die Kommunikation auf den elektronischen
Datennetzen zu kontrollieren: der Clipperchip, mit dem die
US-Regierung die Verschluesselungscodes fuer das gesamte Gebiet der USA
vorschreiben wollte, ein Versuch, der auch in Europa Parallelen hat;
der Communication Decency Act, dessen Durchsetzung mit Hilfe von
Scanprogrammen heftig kritisiert wird. So wurden bereits ernsthafte
Diskussionen unterbrochen, weil sie ein Wort enthielten, das sich auf
dem "Index" befindet (z.B. eine Diskussion ueber Brustkrebs: "breast"
ist indiziert; ein Forum fuer Lesben wurde gestrichen, weil das Wort
"girl" auf Kinderpornographie hinweise...).

Dann kam die Referentin auf die Darstellung der Datennetze in den
Massenmedien zu sprechen, wo ein die Realitaet verzerrendes Bild
gezeichnet wird, indem der Anteil von Pornographie am Datenverkehr und
auch das Interesse daran stark uebertrieben wird. Artikel wie im Time
Magazine, die aufgrund von reisserisch angekuendigten (und methodisch
fragwuerdigen) Studien von einem Anteil von bis zu 83% sprechen, sind
ein Beispiel dafuer.

Das aktuellste Problem in Deutschland ist allerdings der Entwurf fuer
das neue Telekommunikationsgesetz (TKG), nach dem jeder
Systembetreiber fuer den Inhalt der Dateien, die auf seinem System
vorliegen, rechtlich verantwortlich ist. Die neugegruendete AG EDV der
bayrischen Polizei fuehrt seit diesem Fruehjahr regelmaessig Razzien bei
Mailboxen durch, weil Verdacht auf Verbreitung von Raubkopien,
pornographischen Daten und Werbung fuer indizierte Spiele bestehe.
Trotz vieler solcher Aktionen ist jedoch noch fast keine Anklage
erhoben worden. Eine Razzia bei CompuServe hat allerdings zur
Schliessung einiger betroffener Newsgroups gefuehrt. Um nicht
geschlossen zu werden, streichen deshalb viele Mailboxen schon
vorsorglich entsprechende Bretter aus ihrem Programm. Diese Haltung
wurde von einigen Teilnehmerinnen des Workshops heftig kritisiert:
Damit werde eine grundsaetzliche Stellungnahme zu Pornographie
vermieden. Eine Sysopin dagegen: Die Wuerde der Frau steht in diesem
Fall oft hinter der Angst vor Schliessung zurueck.

Die Teilnehmerinnen des Workshops standen der Frauenfeindlichkeit in
den Datennetzen sehr ruhig gegenueber: Offener Sexismus und dumme
Anmache per Mail ist extrem selten, im oeffentlichen Bereich koenne frau
sie leicht ignorieren.

Die angebotenen Bilder sind gelegentlich nur harmlose Zeichnungen
(einen erstaunten Lacher wert war die Bemerkung, dass pornographische
Bilder offenbar oft auch einfach als internationales Zahlungsmittel
fuer die Weitergabe von Programmen o.ae. dienten), Anmache ist oft nur
ein Austesten der Grenzen und wird von den Frauen nicht ernstgenommen.
Wo Frauen sich von Maennern ungestoert unterhalten wollen, ziehen sie
sich einfach in Frauenmailboxen zurueck - auch ein Grund fuer die
vielbeklagte Abwesenheit der Frauen in der Netzoeffentlichkeit. Das so
aufgebaute Selbstvertrauen zeigt sich dann in der zunehmenden Zahl von
Sysopinnen. Doch auch die Maenner scheinen durch das Auftreten von
Frauen in den Netzen langsam zu einer Verhaltensaenderung bewegt zu
werden.

Es bestand ein Konsens unter den Workshopteilnehmerinnen, dass Gesetze
sich als stets unzureichend herausgestellt haben. Es gehe auch nicht
um eine Entscheidung, ob Zensur ausgeuebt werden sollte, sondern eher,
wo sie wirklich notwendig sei. Beispielsweise koenne frau von den
pornographischen Dateien im Netz weitgehend unberuehrt beliben, da
diese immerhin nicht unangefordert auf dem heimischen Computer landen.
Besorgsniserregend sei dann schon eher das Vorhandensein von
Newgroups, die ausschliesslich Bilder verbreiten: Dies foerdere eine
Illusion von Kaeuflichkeit und eine nicht erstrebenswerte
Konsumhaltung, die bei Foren, in denen auch diskutiert wird, nicht so
leicht aufkommen koenne.

Damit die anwesenden Frauen dieses Thema auch weiter diskutieren
koennen und in Kontakt bleiben, wurden die e-mail-Adressen der
Teilnehmerinnen zusammengestellt. Damit soll eine vor zwei Jahren
entstandene Frauen-MailingList wiederbelebt werden, in der Frauen
ungestoert und dezentral ihre eigenen Themen diskutieren koennen.

Referentin: Doris Kretzen (dokriz@cube.net)

Androzentrismus im Netz
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von Meike von der Born (Meike.von.der.Born@LINK-GOE.zerberus.de)

"Androzentrismus im Netz - Denken vom Mann aus" war das Thema des
Vortrags von Rena Tangens am zweiten Tag des CCC. Zu Beginn wurde
erklaert, was "androzentrisch" ist: Es bedeutet, die ganze Welt
ausschliesslich von maennlichen Standpunkt aus zu sehen und zu
beurteilen und diesen Standpunkt zum allgemein gueltigen zu
erklaeren. Analog dazu gibt es z.B. "egozentrisch", "eurozentrisch"
und "anthropozentrisch", was das eigene Ich, Europa oder den
Menschen in den Mittelpunkt stellt.

Androzentrismus und Sexismus sind keineswegs dasselbe. Sexismus ist
aktive Diskriminierung, die inzwischen von den meisten Menschen auch
als solche registriert wird. Androzentrismus dagegen ist viel schwerer
ueberhaupt zu orten, da dieses "Denken vom Mann aus" in unserer Kultur
so weitgehend verinnerlicht wurde, dass nicht nur Maenner, sondern auch
viele Frauen dies fuer normal. Frauen -- sofern sie ihre eigene
Identitaet nicht voellig verleugnen -- stossen allerdings zwangslaeufig
eher auf die Brueche, Begrenztheiten und die Unlogik im herrschenden
System. Maennern faellt es seltener auf, da die uebliche Sichtweise (der
Normalfall ist maennlich, weiblich ist eine Zusatzeigenschaft) fuer sie
selbst stimmig ist und sie sich nicht in die Lebenssituation von
Frauen versetzen koennen.

Rena stellte zunaechst den Androzentrismus in der Wissenschaft dar, um
dann spaeter darauf aufbauend diesen auch in den Netzen aufzuzeigen.


Androzentrismus in den Wissenschaften
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Es koennen vier Auffassungen von Androzentrismus unterschieden werden,
die wir von liberal bis radikal einordnen koennen:

1. Die erste davon stellt die Abwesenheit der Frauen in den
Wissenschaften fest. Erst seit Anfang des Jahrhunderts duerfen
Frauen ueberhaupt an Universitaeten studieren, von daher haben sie
noch keine eigene Tradition im Wissenschaftsbetrieb. Mittlerweile
gibt es Frauen als Studentinnen in vielen Bereichen der
Wissenschaft, jedoch betraegt der Anteil bei den Professorinnen nur
sieben Prozent. Der Grund dafuer sind u.a. Professorenseilschaften.
Aber auch wenn bestimmte Bedingungen fuer Maenner und Frauen gleich
sind, sind sie trotzdem nicht gerecht. Z.B gibt es eine Regelung,
die eine Altersgrenze von 35 Jahren fuer eine C1 Professur
vorschreibt. Auch wenn diese fuer alle gilt, bedeutet dieses keine
Gleichberechtigung, denn Frauen mit Kindern haben dadurch nicht die
gleichen Moeglichkeiten fuer eine Karriere als Professorin, waehrend
bei Maennern ein Kinderwunsch keinen Einfluss auf den Beruf hat, weil
in der Regel seine Frau die Kindererziehung uebernimmt.

2. Die zweite Stufe ist die Dominanz von Maennern und die daraus
folgende einseitige Ausrichtung bei der Themenwahl von
Forschungprojekten. Ein passendes Beispiel ist der Bereich der
Verhuetung, die nicht in dem Masse erforscht wird, wie es diesem
Thema auch als allgemeinem Menschheitsproblem zukaeme. Weiterhin
wird hier fast ausschliesslich nach Moeglichkeiten geforscht, wie
Frauen verhueten koennen, jedoch nicht nach Moeglichkeiten der
Verhuetung seitens der Maenner. Die Wissenschaft definiert sich
selbst als rational, objektiv und universell, doch die
Universalitaet ist nicht ausreichend.

3. Der dritte Punkt ist die Gestaltung der Forschung im Bezug auf die
Methode und die Interpretation von Ergebnissen. Da werden zum
Beispiel fuer Versuche zum Lernverhalten ausschliesslich maennliche
Ratten genommen, da weibliche Ratten einen vier-Tages-Zyklus haben
und der den Wissenschaftlern zur Auswertung der Daten zu
kompliziert waere. Das bedeutet, dass angenommen wird, dass die
maennliche Ratte die gesamte Gattung repraesentiert. Wenn
anschliessend das Lernverhalten weiblicher Ratten getestet wird und
es dabei zu anderen Ergebnissen kommt, wird dieses als Abweichung
von der Norm beurteilt.

Diese ersten drei Stufen zeigen auf, dass die Wissenschaft - um ihren
eigenen Anspruechen zu genuegen - noch verbesserungsbeduerftig ist in den
Bereichen von Universalitaet und Objektivitaet. Diese Richtung der
Wissenschaftskritik, die die Verbesserung der Wissenschaften fordert,
wird "Better Science" genannt. Sie bewegt sich innerhalb des Systems.

4. Die vierte Stufe sagt, dass die Rationalitaet und Objektivitaet, die
Prinzipien der Wissenschaft selbst bereits maennliche
Voreingenommenheit beinhalten. Wissenschaft passiert nicht im
luftleeren Raum, sondern ist historisch und kulturell eingebettet.
Sie folgt nicht ausschliesslich einer inneren Logik, sondern ist ein
sozialer Prozess. Die Auswahl der Forschungsthemen spiegelt die
politischen und oekonomischen Interessen wider. Forschungsergebnisse
bleiben natuerlich nicht nur innerhalb wissenschaftlichen Kreise,
sondern werden auch von den Medien aufgegriffen - Wissenschaft wird
so zur Normierung von Verhalten und zur Legitimierung von
Herrschaft eingesetzt.

Der Glaube an die Verbindung von Begriffen wie Wissenschaft,
Objektivitaet, Denken, Autonomie, aktiv mit dem Terminus maennlich auf
der einen Seite und Natur, Subjektivitaet, Intuition, Verbundenheit,
passiv mit dem Begriff weiblich auf der anderen Seite ist so
weitgehend Bestandteil unseres Allgemeinwissens, erscheint uns so
selbstverstaendlich, dass wir ihn nicht einmal mehr als Glauben
wahrnehmen. Mythen aber haben in den Wissenschaften nichts zu suchen -
also sind sie dingfest zu machen, ad absurdum zu fuehren und/oder
aufzuloesen. Die o.a. Gegensatzpaare (Wissenschaft - Natur, objektiv -
subjektiv, autonom - verbunden, Denken - Intuition, aktiv - passiv,
Mann - Frau) dienen dazu, die Welt in ein binaeres System zu ordnen,
sie ueberschaubar und kontrollierbar zu machen. Der diskurstheoretische
Ansatz in der feministischen Theorie untersucht Wissen als Produkt von
Macht, die Formung des Individuums durch Diskurse und Sprache als
Zeichensystem, mit dem Wirklichkeit nicht beschrieben, sondern erst
geschaffen wird.


"Vorgebliche Objektivitaet ist die Subjektivitaet eines bestimmten
Standpunktes". Diese Meinung gehoert zu der feministischen
Standpunkttheorie, nach der Frauen im Vorteil sind, da sie die
Standpunkte der Maenner neben ihren eigenen wahrnehmen und
verinnerlichen koennen. Objektivitaet erfordert nach herkoemmlicher
Definition eine strikte Trennung von Forscher/in und Objekt.

Die Abtrennung und Abgrenzung von Maennern laesst sich auf einen
Aspekt in der Erziehung zurueckfuehren. Die meisten Kinder, sowohl
Maedchen als auch Jungen, werden hauptsaechlich von ihren
Muettern erzogen; wenn sich Kinder nun von ihren Eltern loesen, dann
muessen sich Jungen nicht nur von der Mutter selbst, sondern auch
von ihrer Geschlechtszugehoerigkeit abloesen. Diese Trennung
bleibt Maedchen erspart, da sie sich trotz der Trennung von der Mutter
als Person mit ihr als Frau identifizieren koennen. Etwas vereinfacht
lassen sich darauf auch die geschlechtsunterschiedlichen Denkstile
zurueckfuehren. Bei vielen maennlichen Wissenschaftlern besteht der
Wunsch nach einer Kontrolle, nach Macht und Herrschaft durch die
Wissenschaft. Die Motivation beim Forschen ist, einen Mechanismus zu
verstehen, um ihn dann manipulieren zu koennen.

Die Wissenschaftlerin Barbara McClintock forschte in der Genetik die
Transposition - die Faehigkeit der Gene, frei zu springen. Sie fand
heraus, dass die Annahme, die genetische Information (DNA, RNA...)
koenne nur in eine Richtung fliessen, ueberholt ist: Lebewesen haben die
Faehigkeit, ihren genetischen Code umzuprogrammieren, zum Beispiel in
Stress-Situationen. Diese Entdeckuung bedeutet in Konsequenz eine
Veraenderung in der Evolutionstheorie, da dies bedeutet, dass Evolution
aktiv stattfand und nicht, wie nach Darwin angenommen, durch zufaellige
Mutationen. Diese Erkenntnis gewann sie durch die intensive
Beschaeftigung mit Ausnahmen, denn sie war der Ansicht, dass gerade in
den Ausnahmen viel Informationen stecken und nicht aus den Statistiken
der Wissenschaftler fallen sollten, weil sie nicht ins Bild passen.
Sie vertritt die Meinung, dass ein System geaendert werden muss, wenn
etwas nicht in dieses System passt, anstatt, dass diese Ausnahmen aus
dem System herausfallen als vorgebliche Missbildung, Messfehler oder
Verschmutzung im Laborglas.

Barbara McClintock bekam erst viele Jahre spaeter, im Alter von
etwa 80 Jahren den Nobelpreis der Medizin fuer die Entdeckung der
Transposition, da viele Wissenschaftler diese aufgrund ihrer
Forschungsmethoden nicht anerkennen wollten. Barbara McClintock gab
bei ihrer Forschung die strikte Trennung von Subjekt und Objekt auf
und versetzte sich selbst in Gedanken zwischen die Chrosomen, die
sie unter dem Elektronenmikroskop betrachtete. Sie wurde zum Teil
des Systems, um es besser verstehen zu koennen. Damit stellte sie sich
in Gegensatz zur traditionellen Wissenschaft. "Das Gute setzt sich
irgendwann durch, man muss nur alt genug werden." Den Nobelpreis bekam
sie erst, nachdem ihre wissenschaftliche Arbeit von anderen mit
anderen Methoden bestaetigt worden war.


Androzentrismus im Netz
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Nach den oben genannten Kriterien hat Rena nun die Netze auf
Androzentrismus hin untersucht. Und hier sind in der Tat Parallelen
feststellbar:

1. In den Netzen gibt es sehr viel weniger Frauen als Maenner. Auch
wenn die Anzahl der Netz-Userinnen zunimmt, gibt es noch kaum
Frauen als Systembetreiberinnen oder Programmiererinnen. Grund fuer
den kleineren Anteil Frauen in den Netzen ist zum einen, dass das
Realeinkomnmen von Frauen in Durchschnitt geringer ist und die
Anschaffung der benoetigten Technik deshalb ein groesseren
finanziellen Einschnitt darstellt. Zum anderen kaufen Frauen
seltener einen Computer als "Spielzeug", sondern erst dann, wenn
sie wissen, wofuer sie ihn brauchen. Die Anzahl von Frauen im Netz
ist aber andererseits nicht so gering, wie gemeinhin angenommen
wird. Das liegt daran, dass das Kommunikationsverhalten von Frauen
anders ist als das von Maennern: Frauen antworten auf eine
oeffentliche Nachricht eher mit einer persoenlichen Mail, als eine
oeffentliche Nachricht zu schreiben, waehrend viele Maenner auch die
kleinste Anmerkung von sich fuer so wichtig halten, dass sie der
Allgemeinheit mitteilen. Frauen sind also durchaus im Netz, aber
sie sind weniger sichtbar.

2. Die Auswahl der Themenbereiche faellt einseitig aus - Themen, die
Frauen interessieren, sind nicht in entsprechender Bandbreite
vertreten. So waere es zum Beispiel wuenschenswert, ein eigenes Brett
fuer das Thema Paragraph 218 zu haben; bisher wird dieses Thema in
wechselnden Brettern z.B. Politik, Recht, Frauen und Sex
diskutiert.

3. Auch der dritte Punkt des Androzentrismusvorwurfs laesst sich in den
Netzen nachweisen. So wird u.a. die Annahme, dass maennliche User die
Art repraesentieren von den verwendeten Programmen -- also
Werkzeugen, die von Maennern wie Frauen im Netz genutzt werden --
transportiert, und zwar nicht nur sprachlich.

Beispiel: Bei einem ungenannt bleibenden MailBox-Programm (nein, nicht
Zerberus!) gibt es im Verwaltungsmodul bei dem Formular, in das
die persoenlichen Daten der UserInnen eingetragen werden, ein Kaestchen
"weiblich" zum Ankreuzen. "Maennlich" gibt es dagegen nicht. Dies sagt
implizit: Der Normalfall ist maennlich, weiblich ist eine
Zusatzeigenschaft, die extra angekreuzt werden muss. Dies dokumentiert
die unreflektierte Haltung des Programmierers. Denn programmtechnisch
besteht keinerlei Notwendigkeit, das so zu handhaben. Wenn ich denn
ueberhaupt die Geschlechtszugehoerigkeit als einen wichtigen Punkt in
den persoenlichen Daten festhalten will, dann waere beispielsweise in
der Menuegestaltung als Alternative ein sogenannter Radiobutton
denkbar: Die verschiedenen Moeglichkeiten stuenden dann gleichberechtigt
nebeneinander und ich koennte zwischen ihnen umschalten.

4. Die vierte Position des Androzentrismusvorwurfs ortet das Problem
in den Grundlagen des Netzes selbst, in seiner Technologie und
Struktur. Wer die Kontrolle ueber die Technik hat, hat Macht ueber
andere Menschen, da er ihre Kommunikation ueberwachen kann.
Persoenliche Nachrichten koennen z.B. von dem Systembetreiber von
jedem System, das die Nachricht auf ihrem Weg passiert, ohne
Probleme gelesen werden -- es sei denn, die Nachricht wurde von der
Absenderin verschluesselt. Logfiles ermoeglichen Verkehrsanalysen --
also wer wann an wen Nachrichten schickt --; diese koennen ebenso
problematisch sein wie eine Kontrolle der Inhalte der Nachrichten
selbst. Die Netze stellen ein potentielles Herrschaftsinstrument
dar.

Die fundamentale Kritik liesse sich noch weitertreiben: Kann eine
Einrichtung, deren Grundlage eine Technologie ist, die logisch auf der
strikten Unterscheidung von 1 und 0 aufbaut, ueberhaupt in der Lage
sein, dem Leben von Frauen, ueberhaupt dem Leben aller Menschen in all
seiner Komplexitaet gerecht werden? Koennen die Datennetze also
ueberhaupt die mediale Plattform fuer eine gesellschaftliche Erneuerung
sein kann, die Differenz und Gleichheit gleichermassen akzeptiert?


Abschlussbetrachtung
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Es kann bei den strategischen UEberlegungen zum Umgang mit den
Datennetzen nicht nur darum gehen, dass mehr Frauen in den Netzen
vertreten sind, dass mehr Themen, die Frauen interessieren, ins Netz
gebracht werden, sondern dass Frauen notwendigerweise auch an der
Gestaltung des Angebots, der Organisation der Netzstruktur und an der
Gestaltung der Technik / Software arbeiten muessen. Wenn wir eine
Veraenderung wollen, ist die Vielfalt der Strategien wichtig -- die
Umgestaltung muss auf allen Ebenen gleichermassen angegangen werden.

Wie jede andere Theorie stellt diese kritische Betrachtung der
Wissenschaften / der Netze eine *moegliche* Sichtweise dar -- sie
erhebt nicht den Anspruch, die einzig richtige zu sein. Vielmehr
besagt sie, dass die vorgebliche Objektivitaet ein Mythos ist und
lediglich die verallgemeinerte Subjektivitaet eines Standpunktes
darstellt; dieser wiederum ist eine Frage der Machtverhaeltnisse. Die
Begrenzungen und die Unstimmigkeiten werden erst deutlich, wenn wir
gezielt die Bruchstellen und die Ausnahmen betrachten. Drei Gedanken
von Barbara McClintock koennten dabei auch eine Anregung zum
gedanklichen Hacken sein: Vielfalt ist ein Wert an sich. Information
fliesst nicht nur in einer Richtung. Und: Sich selbst als einen Teil
des Systems zu begreifen, kann dabei helfen, es besser zu verstehen.


Weiterfuehrende Literatur:

Evelyn Fox Keller:
"Liebe, Macht und Erkenntnis"
Muenchen 1986
(Buch ueber Differenz, andere Forschungsansaetze, Barbara McClintock)

Evelyn Fox Keller
"Feminismus und Wissenschaft"
In: List/Studer: Denkverhaeltnisse - Feminismus und Kritik
Frankfurt am Main, 1989
(Aufsatz zur Wissenschaftskritik)

Cornelia Klinger
"Bis hierher und wie weiter?"
In: Marianne Kruell: Wege aus der maennlichen Wissenschaft
Perspektiven feministischer Erkenntnistheorie, 1990
(eine Bestandsaufnahme feministischer Wissenschaftskritik)

Gert Brantenberg
"Die Toechter Egalias", Oslo 1977 / Berlin 1980
(Roman, der die Geschlechterrollen umkehrt -- witzig und lesenswert)


Kontakt:
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Rena Tangens
Marktstr.18, D-33602 Bielefeld
eMail: RENA@BIONIC.zerberus.de

Androzentrismus in der Praxis - Dumpfhoheit in Netzstruempfen

von Anke Scholz (Anke.Scholz@Link-Goe.zerberus.de)

CCC-Gruendungsmitglied und Alterspraesident Wau Holland beglueckte die
Zuhoererinnen am zweiten Kongresstag mit einer besonderen Art von
Happening (die angekuendigte musikalische Untermalung musste
umzugsbedingt ausfallen).

So wurde aus dem angekuendigten "Event" die Vorlesestunde eines
offensichtlich frustrierten Alt-Hackers. Wau Holland las hinter seiner
Kaffeetasse sitzend dreiseitigen Text ueberdeutlich aber doch
gleichgueltig betonend vom Blatt ab. Die fast fuenfzig Zuhoerer, unter
ihnen auch ganze fuenf Zuhoererinnen, hoerten sich Waus Erguesse geduldig
an.

Die ersten intelligenten Wortspielereien ernteten noch erleichterte
Lacher; dieses Lachen wandelte sich jedoch schnell in betretenes
Schweigen. Wau las einen teilweise bis zur Unverstaendlichkeit
entstellten voellig ueberfrachteten Text vor, in dem er in uebelster
Weise auf alle schimpfte: andere "Netzgroessen", das CL-Netz, das
Z-Netz, den Chaos Communication Congress und seine Organisation, die
Anwesenden, Handybesitzer - und Frauen.

Diesen "machtfrauischen Kontrollweibern" warf er in den vergangenen
Netzdebatten um das "Innen-I" eine "Art der Gesinnungskontrolle und
Verabsolutierung" vor, die ihm generell Angst einjage.

Diese Gefuehle wurden der Zuhoererschaft aber wohl erst in einem der
peinlichen Stille nach dem Vortrag folgenden kurzen Wortgefecht
zwischen Wau und einer anwesenden (und in der Rede implizit
angesprochenen) Frau klar.

Eine Teilnehmerin, Christine Wittig, rettete die Anwesenden
schliesslich durch ihre zur Vernunft und klaerenden internen
Problemdebatte mahnenden Worte. Die Anwesenden verliessen daraufhin
erleichtert und ohne Widerrede den Saal, um der Datenschutzdebatte
beizuwohnen, von der Wau schon im Abschluss an seine "musikalisch
eingerahmte Rede zur Sprache und Schreibe" erklaert hatte, dass
_die_ ihn jetzt eigentlich jetzt mehr interessiere.


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oder +49-177-2420726) bestellt werden.

Fragen zum CCC und zum Congress bitte an CCC@t42.ppp.de


 
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